Wenn man über Lettland und insbesondere Riga spricht, wird oft seine multikulturelle Geschichte erwähnt. Die Lage von Lettland, an der Küste der Ostsee mit der Mündung der Düna ins Meer, bestimmte von Anfang an das Interesse und die Präsenz verschiedener Völker in diesen Gebieten. Demnach ist Lettland reich an historischen Minderheiten. Die Minderheiten, die sich vor dem 20. Jahrhundert in diesem Gebiet niederließen, gelten als historische Minderheiten. In Lettland gibt es acht davon: Deutsche, Russen, Esten, Litauer, Weißrussen, Polen, Juden und Roma. Alle anderen Nationalitäten, die heute auf dem Gebiet Lettlands zu finden sind, kamen später in erheblicher Zahl hierher, höchstwahrscheinlich nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Einfluss der Politik der UdSSR oder sogar später, wie beispielweise in den letzten Jahren, als Einwohner verschiedener Länder aktiv nach Lettland einwanderten, um hier eine Ausbildung zu erhalten oder einen Job zu finden.
Der Beginn des 20. Jahrhunderts und die Zeit des ersten unabhängigen Staates Lettland waren für die lettischen Minderheiten eine Zeit zum Aufblühen. Sie gründeten aktiv Kultur- und Sportvereine, entwickelten gemeinnützige und landwirtschaftliche Einrichtungen. Die meisten Minderheiten konnten ein Netzwerk nationaler Schulen aufbauen und ihre eigenen Publikationen in der Presse veröffentlichen. Riga, sowie nicht nur Riga, war ein wahrer und gegenseitig vorteilhafter multikultureller Ort. Und obwohl Menschen unterschiedlicher Nationalität ihre ethnische Identität betonten, ist anzumerken, dass die überwiegende Mehrheit von ihnen dem neuen Staat Lettland und ihren Bürgern gegenüber loyal blieb. Lettland hat viel von dem Wissen, der Erfahrung, den Fähigkeiten und den Kontakten aller seiner Bürger profitiert. Genau diese Vielfalt hatte zur Folge, dass sich das neue Land Lettland in kürzester Zeit zu einer florierenden Wirtschaft und Demokratie entwickelte.
Der Putsch von Ulmanis war der erste Schritt, um die Aktivitäten von Minderheiten einzuschränken. Trotzdem gab es immer noch Möglichkeiten, seine ethnische Zugehörigkeit zu bewahren und zu pflegen. Der Zweite Weltkrieg und die anschließende Besetzung waren für Minderheiten eine echte Katastrophe. Minderheitenvereine durften in der Sowjetunion nicht tätig sein, gleichzeitig herrschte ein starker Russifizierungsdruck. Nach Lettland strömten große Menschenmengen unterschiedlicher Nationalitäten, die sich im Gegensatz zu den Angehörigen historischer Minderheiten nicht mit dem Staat Lettland identifizierten und dessen Geschichte und Kultur nicht kannten. Dies war eine Zeit, die die Einstellung der Letten gegenüber Einwohnern anderer Nationalitäten in großem Maße veränderte.
Im heutigen globalisierten Lebensrhythmus verlieren Minderheiten einerseits ihre Kultur und Geschichte zunehmend an Bedeutung. Andererseits stoßen wir täglich darauf, wie groß und schmerzhaft die nationale Frage sein kann. Geschichtskenntnisse und der Wunsch, einer demokratischen Zivilgesellschaft anzugehören, können zu Instrumenten für die Gesellschaft werden, um die schmerzhafte, nationale Frage gemeinsam oder individuell zu lösen. Deshalb setzt der Verband der Deutschen in Lettland 2023 das ehrgeizige Projekt für schulpflichtige Jugendliche „Lerne historische Minderheiten kennen!“ um.
Im Rahmen des Projekts wurden das Informationsmaterial über die Geschichte und Kultur jeder Minderheit in Lettland erstellt. Neben der Geschichte haben junge Menschen die Möglichkeit, einige traditionelle Gerichte jeder Nationalität kennenzulernen. In Kürze wird das Material sowohl auf der Webseite des Verbandes der Deutschen in Lettland erhältlich sein als auch interessierten Schulen oder anderen Interessenten in gedruckter Form zur Verfügung gestellt.
Der Verband der Deutschen in Lettland schreibt einen Aufsatz-Wettbewerb für junge Menschen aus und lädt Euch ein, Euch mit nationalen Minderheiten in Lettland vertraut zu machen. Wie junge Menschen die Rolle und Zukunftsperspektiven von Minderheiten in Lettland sehen, was es heute bedeutet, einer Minderheit in Lettland anzugehören, wie wichtig die ethnische Zugehörigkeit für die heutige Jugend ist – das sind nur einige der Fragen, über die wir Teilnehmende des Aufsatz-Wettbewerbs „Lerne historische Minderheiten kennen!“ zum Nachdenken einladen.
Wir danken der Stiftung für gesellschaftliche Integration für die finanzielle Unterstützung bei der Projektumsetzung!
